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Saisonschlüssiges.

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Eine der letzten Bergtouren dieses tollen Jahres haben mich in die Schesaplana geführt, wo man vergnügt im Unwissen ist, ob man sich jetzt gerade auf Österreicher oder Schweizer Seite befindet. Am frühen Morgen nach einem Hüttenfrühstück kam ich an der Szenerie auf dem Bild vorbei. Schön, sagst du da wohl. Stimmt. Auf den ersten Blick. Auf den zweiten Blick sieht leider, leider alles ganz anders aus. (Ok, ich verspreche, es ist der letzte solche Beitrag.) Grossflächig abgeweidete, zertrampelte, überdüngte  Flächen, eine verarmte Restnatur, verkrüppelt, verarmt, verwüstet. Hunderte, wenn nicht tausende Kühe haben ihre zerstörerischen Spuren hinterlassen. Ein gespenstisches Szenario, das sich Jahr für Jahr wiederholt. Unter grossem Applaus der lokalen Bevölkerung, mit Alpauf- und abzug, inklusive der Sympathie und der Finanzierung der unwissenden Städtern.

Alle kennen Bilder von norwegischen Walschlächtern, die in einer Bucht die Wale zusammentreiben und abschlachten, bis sich das Wasser rot färbt. Da ist das Entsetzen gross. Das ist absolut vergleichbar, die Einheimischen verargumentieren das ähnlich mit Tradition, Brauchtum und angeblichem materiellen Überleben. In Bezug auf Biodiversität ist die Alp-Intensiv-Weiderei allerdings noch schlimmer, weil das ganze Ökosystem über der Baumgrenze nachhaltig geschädigt wird und nicht nur wie bei den Walen die Prädatoren, die obersten Lebewesen der Nahrungskette, zerstört werden.

Weil diese Tradition der Alpenbewohner, die notabene erst seit etwa 400 Jahren besteht, allgemein akzeptiert und gefördert wird, weiss gar niemand mehr, wie die Welt oberhalb der Baumgrenze einmal ausgesehen hat. Es war eine blühende Welt, voller Vielfalt, voller pflanzlichem und tierischem Reichtum, voller verschiedenster Blütenpflanzen, Schmetterlingen, sonstigen Insektenarten, Nagetieren, Vögeln, Pilzen, Bodenpilzen, Flechten, Mikroorganismen – kurz: voller biodiverser Harmonie. Die Ironie besteht auch noch darin, dass heutzutage die Intenisv-Beweidung geradezu als systemerhaltend propagiert wird. Selbst intelligente Menschen befürchten, dass bei einer Nicht-Nutzung ein diffuser Systemkollaps eintreten würde, eine “Vergandung” oder ähnliches und man die Bauern unterstützen sollte im Kampf um die “Landschaftspflege”.

Auf meinem Bild sind noch ein paar Bergseen zu sehen. Die stehen auch stellvertretend dafür, mit welcher selbstgerechten Selbstverständlichkeit diese in den  Produktionsprozess einverleibt werden. Bergseen sind heute in 95% aller Fälle nichts als Viehtränken. Zertreten, verschissen, veralgt, überdüngt. Niemand verlangt von den Bauern, dass diese potentiell ökologischen Juwelen voller Leben abgehagt würden und das Wasser für das Vieh anderweitig zur Verfügung gestellt werden müsste. Man nimmt auch das mit grösster Selbstverständlichkeit und Desinteresse als Kollateralschaden hin.

Natürlich ist mir bewusst, dass sich etwas kulturell so tief verankertes wie diese ökologisch desaströse Alpwirtschaft niemals ändern lässt. Ich wäre nur schon zufrieden, wenn ein einigermassen faires Agreement 10 oder 20 Prozent der heutigen Flächen von der Nutzung ausscheiden würde. Heute wird alles genutzt, was sich nutzen lässt. Bis zu den hinterletzten Tälern, Hochebenen und Berggipfeln, die für das Vieh zugänglich sind. Wenn die Schweiz ihre weltweit gesetzten Biodiversitätsziele, von denen sie weit entfernt ist, erreichen möchte, wäre dies das effizienteste Mittel.

Aber ja, das ist Theorie. Der Alb- bzw. Alptraum geht weiter.

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