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Agrar-wüste Schweiz.

Wenn man mich als Vorstand der grössten Schweizer Naturschutzorganisation (wenn auch nur auf ehrenamtlicher, kantonaler Basis) fragt, was denn das grösste ökologische Problem darstellt, ist meine Antwort klar.

Erstens die Landwirtschaft. Zweitens die Landwirtschaft. Und drittens…die Landwirtschaft.

Weltweit, aber oder gerade auch in der Schweiz.

Die Landwirtschaft – und ich meine einfachheitshalber die Forstwirtschaft und Fischerei inklusive – ist  per se der Gegenpol zur Natur. Semantisch betrachtet kommt der Begriff “Natur” von lat. nasci,  natum, (geboren werden, sein), währenddem die “Kultur(landschaft)” von colere, cultum (bebauen, bebaut) kommt.

Viele mag das erstaunen. Heutzutage wird in der öffentlichen Darstellung, etwa dem Agrarmarketing, so getan, als sei die Landwirtschaft nicht nur kein Widerpart, sondern geradezu ein Verbündeter der Natur bzw. der Biodiversität.  Das ist natürlich absurd. Gerade die Städter sind gedanklich überfordert, die Tätigkeit der Bauern im “Grünen” von der Anwesenheit der Natur im “Grünen” zu unterscheiden. Irgendwie findet für sie alles draussen statt und ist in etwa dasselbe. Ein fataler Irrtum. Das Interesse des Agrarproduzenten (das Wort “Bauer” tönt in vielen grünen Ohren ja niedlich) ist, möglichst viel produzieren zu können und somit möglichst viel hinderliche Natur dabei zu beseitigen. Das mag in ärmeren Regionen der Welt, in denen zwangsläufig extensive  (Achtung, häufig missverstandenes Wort, bedeutet nicht-intensive) Landwirtschaft betrieben wird, noch einigermassen angehen. Auch in der Schweiz war das vor 100 Jahren noch kein eigentliches Problem, einzelne Nutzungsarten haben sogar einen positiven Einfluss gehabt, auf den noch heute referiert wird. Spätestens seit dem 2. Weltkrieg ist es aber völlig aus dem Ruder gelaufen. Die sogenannte “Anbauschlacht” mag politisch legitim und opportun gewesen sein. Für die Natur war sie eine Katastrophe. Oder der Grundstein zur Katastrophe. Die Landschaften wurden grossflächig ausgeräumt, der Anbau intensiviert, Natur- oder naturnahe Flächen “melioriert”, zusammengelegt, entwässert, gedüngt, überdüngt – ein Prozess, der über die letzten 70 Jahre unablässig, umbarmherzig, gnadenlos weitergetrieben wurde. Mit dem Resultat, dass naturnahe Flächen in der Schweiz nur gerade noch in homöopathischen Dosen, in minimen, nicht ganz so extrem genutzten Restflächen vorhanden sind. Vornehmlich in winzigen Oasen von Naturschutzgebieten.  Vielleicht mag das sogar ein Laie  wahrnehmen, wenn er durch das Schweizer Mittelland fährt. Erstaunlich ist jedoch, dass heutzutage dieser Übernutzungsprozess längst in den Berggebieten angekommen ist.  Eine Entwicklung, die ökologisch durchaus mit der Abholzung der Regenwälder vergleichbar ist. Ausser, dass sie vor unserer Haustüre stattfindet und  dass sie nicht besonders spektakulär daherkommt.

Die gesamten Voralpen sind nichts weiter mehr als eine überdüngte Viehweide. Aber auch über der Baumgrenze sind die empfindlichen alpinen Rasen und damit die artenreichen Lebensgemeinschaften verschwunden. Neben den Unmengen an immer mehr, grösseren und leistungsfähigeren Kühen sind bis auf 3000 Meter noch Schafe da, die der  verbliebenen Natur noch den letzten Rest geben. Diese Schafhaltung ist übrigens besonders absurd. Der ökonomische Nutzen (bescheidene Fleisch- und Wollprodukte) im Verhältnis zum ökologischen Schaden besonders drastisch verschoben. Zudem ist es so, dass der Stickstoffkreislauf ausserhalb aller natürlichen Grenzen geraten ist. Früher hatte es so viel Vieh, wie die Wiesen hergaben. Heute mit dem Kraftfutter und anderen Hilfsstoffen weiss man nicht mehr wohin mit der überschüssig produzierten Gülle und dem Mist. Beziehungsweise wird der Mist auch von den Talflächen systematisch auf die Bergweiden gekarrt und ausgebracht. Ironie ist nebenbei, dass das Kraftfutter häufig aus Soja besteht, der auf abgeholzten Regenwaldflächen in der 3. Welt für unsere Schweizer Kühe produziert wird. Da schliesst sich der Kreis des Grauens. Jetzt ist es aber nicht so, dass wir diesen Nutzungswahnsinn einzudämmen, zu kanalisieren oder verbieten suchen, sondern im Gegenteil: wir finanzieren und fördern ihn sogar. Mit Subventionen, Bergzulagen, Berghilfe, mit öffentlichen Geldern bezahlten Strassen, Seilbahnen, Alphütten, gutgemeinten Sammelaktionen, kantonalem Finanzausgleich und, und, und. Neben der urbanen Ignoranz kommt da das politische Lobbying ins Spiel. Die Schweiz ist eine eigentliche Agrokratie. Das nur gerade 2,7% grosse Berufssegment der in Land- und Forstwirtschaft Tätigen wird im Parlament von rund 30% Agrarlobbyisten vertreten (und stellt typischerweise zwei Bundesräte). Die eisern und unablässig ihre Interessen vertreten, die sämtliche Naturschutzbemühungen konsequent abblocken, die Sonderprivilegien rausholen, die es schaffen, im allgemeinen Spartrend noch mehr Gelder zu erheischen. Die Schweizer Bevölkerung bezahlt pro Jahr über 3 Milliarden Franken für ihre Intensivst-Landwirtschaft. Mit über 80% Subventionsanteil gehört die Schweizer Landwirtschaft zu den weltweiten Spitzenreitern.  Natürlich ist das mit dem Rechtsruck und noch mehr SVP-Vertretern nicht besser geworden. Fortsetzung folgt.

 

 

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