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Planettarisches.

Meine Ode ans Wandern  im Beitrag “Wanderbares” erfährt hier noch eine  Ergänzung. Das Stichwort heisst Sinnlichkeit. Exemplarisch kommt mir eine Feierabendwanderung im Züri Oberland in den Sinn. An einem der heissen Sommertage bin ich erst um sieben Uhr abends los. Auf 1000 m in der Abendsonne bei unglaublich angenehmen 25 Grad, den Geruch von frischem Heu, Waldboden und unbedrohlich aufziehendem Gewitter in der Nase. Jeder Sonnenstrahl, der dem Gesicht, den Armen und den freien Wädli sanft schmeichelte, hatte den unvorstellbar langen Weg von 150 Millionen Kilometern zurückgelegt. Dass diese sanfte Wärme nicht immer für so liebliche Bedingungen sorgte, zeigten ein paar pflanzliche Eiszeitrelikte an den Wegrändern. Senecio alpinus (Alpen-Greiskraut), Adenostyles alpina (Alpendost) und vielleicht auch  Cardamine kitaibelii (Kitaibels Zahnwurz) sind auf dieser bescheidenen Höhenstufe eigentlich als Überbleibsel einer alpineren, sprich an eine an kühleres Klima angepassten Vegetation zu verstehen.  In geologischen Zeiträumen ist die letzte Eiszeit erst gerade vor einem Wimpernschlag (ca. 20’000 Jahre) zu Ende gegangen. Wie unwirtlich es damals doch war. Ein kilometerdichter Eispanzer hat fast sämtliches Leben gnadenlos überfahren, während Jahrtausenden, und erst mit der nachfolgenden schrittweisen Erwärmung haben sich nach und nach die Vegetation und damit weiteres Leben zurückgekämpft. Zuerst die alpinen, dann die subalpinen, dann die heutigen montanen und kollinen Arten. Jetzt säuseln die Blätter von Laubbäumen im Abendwind. Die ganze Erdgeschichte ist geprägt von längerfristigen und kürzerfristigen klimatischen Schwankungen. Die globalen Temperaturen waren im Schnitt bis zu 20 Grad wärmer oder kälter als heute. Der Meeresspiegel hat sich entsprechend dramatisch gesenkt und gehoben. Im Zeitabschnitt des Silurs geht man von einer jahrmillionenlangen Phase aus, in der die Erde nichts als ein Schnee- bzw. Eisball war, auf dem alles gefroren war. Das Leben konnte sich nur bei untermeerischen Schloten und Wärmequellen halten. Erst aktiver Vulkanismus mit vermehrtem Ausstoss von CO2 haben wieder für wärmere Zeiten gesorgt. Ausgerechnet der Stoff, der heute in den populären und für Laien verständlichen Umweltdebatten so in Verruf steht, hat ironischerweise das Leben damals gerettet. Der CO2-Gehalt der Atmosphäre hat später bis zu 50 mal (!) höhere Werte erreicht als heute. Auch der Sauerstoffgehalt war zeitweise beträchtlich höher. Die Natur hat sich jeweils stillschweigend verändert, bzw. angepasst, neue Lebensformen favorisiert, andere verdrängt. Das ist die Dynamik der Evolution, die Dynamik der Natur, die Dynamik der Biodiversität. Nur allzu leicht geht das heute in den Diskussionen über ein paar Prozent mehr CO2 oder möglichen längerfristig Erwärmungsszenarios in den Dimensionen von plus 2 Grad vergessen. Als aktiver Umweltschützer der ersten Stunde geht es mir nicht darum, Sorge um die Natur zu verharmlosen. Im Gegenteil. Es geht mir darum, die Verhältnismäßigkeit zu wahren und nicht von den dringendsten Umweltproblemen abzukommen. Das Global warming ist per se keine Umweltproblematik, es ist höchstens eine Problematik, welche die vom Menschen geschaffenen Einrichtungen betrifft. Der Natur im eigentlichen Sinne ist diese – unter dem Strich bescheidene  – Veränderung völlig egal. Es wird Gewinner und Verlierer geben, aber auf die Biodiversität als Gesamtes, als Summe, hat die Entwicklung keinen relevanten Einfluss. Wissenschaftlich betrachtet muss man einer moderaten Erwärmung sogar eher positive Effekte zugestehen. Nur möchte das natürlich niemand hören, zu einfach liegt hier ein für alle nachvollziehbares Problem vor, das Milliarden an Forschungsgeldern freisetzt und viel, meist gutgemeinte, Energie kanalisiert. Mir wäre dieser Aktionismus eigentlich alles in allem recht egal, wenn er nicht von wirklich relevanten Umweltproblemen ablenken würde. Und da gilt es halt doch einmal, das Kind beim Namen zu nennen: unsere Nahrungsmittelproduktion.  Sprich die Landwirtschaft, so, wie sie heute betrieben wird. Ob die Abholzung der Regenwälder, die Überfischung der Meere, die Überdüngung der Viehwirtschaftflächen, die unendlich grossen eintönigen Agrarwüsten – hier und jetzt wird die Natur zerstört, verdrängt und irreversibel vernichtet. Aber das soll in einem anderen Beitrag eingehend aufgegriffen werden. Lassen wir also diese Zeilen ausklingen mit einem Dank an unsere sanfte Zwischeneiszeit, in der wir das Privileg haben zu leben. Auf diesem sehr, sehr netten Planeten.

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